Kolloide

Kolloide
Kolloide
 
[englisch, zu griechisch kólla »Leim« und -eide̅́s »ähnlich«], Singular Kolloid das, -(e)s, kolloiddispẹrse Systeme, kolloidale Systeme, fein verteilte Stoffe, disperse Systeme (Dispersion) mit Teilchen aus 103 bis 109 Atomen und einem Durchmesser von 10-5 bis 10-7 cm (100-1 nm). Die Kolloide bilden einen Grenzbereich zwischen den echten (einphasigen) Lösungen und den heterogenen (mehrphasigen) Mischungen. Kolloidteilchen sind unter dem Lichtmikroskop nicht zu sehen und werden von Papierfiltern nicht zurückgehalten; sie streuen jedoch das Licht (Tyndall-Effekt) und lassen sich durch Ultrafiltration vom Dispersionsmittel abtrennen. Bei genügender Größe können kolloidal verteilte Stoffe mit einem Ultra- oder Elektronenmikroskop direkt beobachtet werden; zur indirekten Analyse dienen v. a. Streulicht-, Sedimentations- und osmotischen Messungen.
 
Die Einteilung der Kolloide erfolgt nach sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten. Nach dem Zusammenhalt der Teilchen werden Sole, bei denen die Teilchen im Dispersionsmittel frei beweglich sind, und feste bis zähelastische Gele, bei denen sie in unregelmäßigen Gerüsten angeordnet sind, unterschieden. Der Übergang vom Sol- in den Gelzustand wird Koagulation (Ausflockung, Gerinnung) genannt, der umgekehrte Vorgang Peptisation. Übergänge zwischen den beiden Zuständen verlaufen in manchen Fällen reversibel (z. B. beim Abkühlen oder Erhitzen von Sülze), in anderen lässt sich eine Gelierung nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen (z. B. bei der Vernetzung von Polymeren). - Nach der Bindungsart zwischen den Atomen der Kolloidteilchen werden die Kolloide unterteilt: 1) Die Molekülkolloide bestehen aus Makromolekülen (Eiweißstoffe, Polysaccharide, Kautschuk), die entweder kugelförmige Teilchen (Globulär- oder Sphärokolloide) oder lang gestreckte, fadenförmige Teilchen (Fibrillär- oder Linearkolloide) bilden können; ihre Größe ist bereits weitgehend durch die makromolekulare Struktur festgelegt. 2) Die Assoziations- oder Mizellkolloide entstehen durch Zusammenlagern von Molekülen zu größeren Aggregaten (Mizellen). Sie bilden sich häufig spontan beim Auflösen von Substanzen mit polaren und unpolaren Gruppen im Molekül (grenzflächenaktive Stoffe, z. B. Seifen). 3) Dispersionskolloide entstehen durch geeignete Zerteilung (Kolloidemühle, elektrische Zerstäubung, chemische Fällung) der zu dispergierenden Substanzen. Während Molekül- und Assoziationskolloide stabil sind, sind die Dispersionskolloide instabil; sie werden nur durch Solvatation, gleichsinnige elektrische Aufladung oder Schutzkolloide (z. B. ein geeignetes Molekül- oder Assoziationskolloid) daran gehindert, in echte Lösungen oder grobdisperse, heterogene Mischungen überzugehen.
 
Da kolloiddisperse Systeme für die moderne Industrie, für die Biologie, die Medizin und die Landwirtschaft eine sehr große Bedeutung besitzen (z. B. verlaufen in den Organismen fast alle chemischen Reaktionen in kolloidalen Systemen), befasst sich mit den Kolloiden ein besonderer Zweig der physikalischen Chemie, die Kolloidchemie.
 
 
Nachdem einige Effekte kolloider Teilchen bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts beobachtet worden waren (u. a. von F. Selmi), wurden die eigentlichen Grundlagen der Kolloidchemie zwischen 1861 und 1864 von T. Graham gelegt. Als Prototyp derjenigen Stoffe, die von bestimmten, sonst durchlässigen Membranen wie Pergament zurückgehalten werden, betrachtete er den Leim (griechisch kólla) und nannte diese Stoffe kolloid, d. h. leimartig. 1857 untersuchte M. Faraday die Farbänderungen kolloider Goldsole und beobachtete das Auftreten von Streulicht. Die Stabilität hydrophober Sole wurde u. a. 1882 von dem Pharmakologen Hugo Schulz (* 1853, ✝ 1932) untersucht, etwas später (1888) arbeitete der Pharmakologe Franz Hofmeister (* 1850, ✝ 1920) über hydrophile Sole. Diese Forschungen wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts fortgesetzt von J. Perrin (u. a. Entdeckung des Sedimentationsgleichgewichts) und von H. Freundlich, der erstmals elektrophoretischen Methoden und die Kapillaranalyse heranzog. Mit der Erfindung des Ultramikroskops gelang es, kolloide Teilchen sichtbar zu machen. Später trugen röntgenographische und elektronenmikroskopische Untersuchungen zur weiteren Aufklärung des Kolloidzustandes bei.
 
 
Kolloidchemie heute, hg. v. H. W. Kohlschütter u. a., 2 Bde. (1976);
 H. Sonntag: Lb. der Kolloidwiss. (Berlin-Ost 1977);
 
Interaction of particles in colloidal dispersions, hg. v. B. W. Ninham u. a., 2 Bde. (Amsterdam 1982);
 D. H. Napper: Polymeric stabilization of colloidal dispersions (London 1983);
 R. D. u. M. J. Vold: Colloid and interface chemistry (Reading, Mass., 1983);
 D. J. Shaw: Introduction to colloid and surface chemistry (Oxford 41992, Nachdr. ebd. 1996);
 R. J. Hunter: Introduction to modern colloid science (ebd. 1993).
 

Universal-Lexikon. 2012.

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